„Was die Superreichen in die Schweiz zieht,

hat der Mittelstand finanziert und aufgebaut“

SP-Gemeinderätin Jacqueline Badran diskutierte an einem Podiumsgespräch mit drei bürgerlichen PolitikerInnen von FDP, SVP und CVP über die Steuergerechtigkeitsinitiative. In einem Interview entkräftet sie nun die am meisten gehörten bürgerlichen Argumente gegen die SP-Initiative.

Jacqueline Badran, wandern die Reiche in Scharen ab, wenn die Steuergerechtigkeitsinitiative der SP angenommen wird?
Badran: Im angrenzenden Ausland sind die Steuern überall höher. Wohin sollen sie also ziehen? Nur gerade Bulgarien, Rumänien, Malta, Litauen und Polen haben tiefere Sätze als die Schweiz. Da gehen die Superreichen nicht mal in die Ferien, geschweige denn wollen sie dort wohnen. Und in Monaco gibt’s keinen Quadratmeter mehr zu haben. Für die Wahl des Wohnortes sind nicht nur die Steuern ausschlaggebend. Auch die generelle Lebensqualität, also die Universitäten, Schulen, Kulturangebote, die extrem hohe Sicherheit, die Natur, die Gesundheitsversorgung, die gesamte Infrastruktur spielen eine Rolle. Nicht zu vergessen die tiefe Inflation und die Währungsstabilität. Kurz: alles Dinge, die der Mittelstand in den letzten Hundert Jahren aufgebaut, gepflegt und finanziert hat.

Muss eine ledige Person mit einem Einkommen von 250’000 Franken bei Annahme der SP-Steuergerechtigkeitsinitiative mehr Steuern bezahlen?
Badran: Nein! Von dem geforderten Mindeststeuersatz betroffen sind Personen mit einem steuerbaren Einkommen 250’000 Franken. Das entspricht einem Lohn von rund 300‘000 bis 350‘000 Franken, je nach Abzugsmöglichkeiten, oder einem monatlichen Lohn von 27‘000 Franken. Bei Paaren ist es ein steuerbares Einkommen von 420’000 Franken. Hier muss man aufpassen, denn die Bürgerlichen reden bewusst von Einkommen und nicht vom steuerbaren Einkommen. Damit wollen sie suggerieren, dass mehr Personen von der SP-Initiative betroffen seien, als dies tatsächlich der Fall ist. Wer wissen will, ob er selbst betroffen wäre, konsultiert am besten den SP-Steuerrechner. In den meisten Kantonen ändert sich gar nichts.

 

Die Bürgerlichen behaupten, dass bei Annahme der SP-Steuergerechtigkeitsinitiative die Steuern auch für den Mittelstand steigen werden.
Badran: Das ist das absurdeste Argument. Im Kanton Zürich müssten nur ledige Personen mit einem Vermögen von mehr als 2 Millionen Franken in gewissen Gemeinden mehr zahlen. Bei allen anderen, seien sie nun arm, mittelständisch oder reich, bleiben im Kanton Zürich die Steuern unverändert . Das Gegenteil von dem, was die Bürgerlichen behaupten, ist der Fall: Jene Kantone, die durch die Initiative Mehreinnahmen generieren, könnten die Steuern für den Mittelstand sogar senken.

Zudem sei hier betont, dass der gesamte Zürcher Mittelstand auch indirekt von der Annahme der SP-Steuerinitiative profitiert. Denn die Steuerdumpingkantone in Zürichs Nähe können damit die Steuern nicht mehr beliebig senken. Dieses „Race-to-the-bottom“ – wie es in der Volkswirtschaftslehre heisst – wird gebremst. Der Druck auf den Kanton Zürich, Steuern für Superreiche zu senken, nimmt ab. So bleibt es Zürich erspart, bei der Bildung und im Gesundheitswesen schmerzhafte Abstriche zu machen. Das kommt letztlich der gesamten Bevölkerung zugute.

Die Bürgerlichen rechnen vor, bei Annahme der Initiative gebe es in der Steuerkurve einen abrupten Sprung, der dann von den Steuerbeamten geglättet werde. Davon seien dann auch mittelständische Einkommen betroffen.
Badran: Den Sprung in den Progessionssätzen gibt es jetzt schon und betrifft nur die Grenzsteuersätze (den Steuersatz für den nächsthöheren Einkommensfranken). Die Durchschnittssteuersätze bleiben schön brav geglättet und weisen keine Sprünge auf.

Bürgerliche sagen auch, die Superreichen fänden immer wieder ein neues Schlupfloch. Damit sei die SP- Steuerinitiative überflüssig.
Badran: Dass sie neue Schlupflöcher finden, stimmt vermutlich. Wir entlasten ja laufend das Kapital: Handänderung- und Erbschaftssteuerabschaffung, Halbierung der Dividendenbesteuerung, Senkung der Gewinn- und Kapitalsteuern, keine Kapitalgewinnsteuern, Pauschalbesteuerung und so weiter und so fort. An den Abzügen kann man auch nett schrauben. Und Schwarzgeld kann man unbemerkt in Immobilien parkieren, da das Geldwäschereigesetz nicht greift. Dafür wird Arbeit (Lohnabzüge für die Arbeitslosenversicherung) und Konsum (Mehrwertsteuerprozente für die Invalidenversicherung) belastet. Umso mehr braucht es ein Ja zur Initiative. Wir sagen damit: so geht’s nicht mehr weiter.

Wie kommen die Zürcher Regierungsrätin Ursula Gut von der FDP und Regierungsrat Ernst Stocker von der SVP dazu, den Zürcherinnen und Zürchern eine Ablehnung der Vorlage zu empfehlen?
Badran: Pure Ideologie, Nachgeplauder von Schlagsätzen: „Wir profitieren von den Reichen, die wandern sonst ab.“ Das ganze Blabla eben. Das Schlimme ist, dass sie das wirklich glauben. Es ist mir rätselhaft, denn auf der anderen Seite beklagen sie, dass sie mit rund einer halben Milliarde Franken zu viel in den interkantonalen Finanzausgleich bezahlen. Davon profitieren die Dumpingkantone wie Obwalden und Appenzell und damit finanzieren wir hochoffiziell deren Steuersenkungen. Hinzu kommen die Subventionen. Wir subventionieren das Opernhaus mit 420 Franken pro Abend und Platz, wovon Superreiche aus Obwalden, Schwyz und Zug profitieren, ohne zu mitzuzahlen.

Ist die SP-Steuerinitiative ein Angriff auf die Steuerhoheit der Kantone?
Badran: Das ist Mumpitz. In der Verfassung verankerte Leitplanken für die Festlegung von Steuern gibt es bereits heute. Zum Beispiel sind degressive Steuern verboten. Gerade kürzlich wurde Obwalden deswegen vom Bundesgericht zurückgepfiffen. In diesem Urteil sah auch niemand eine Gefahr für den schweizerischen Föderalismus. Zudem betrifft die SP-Steuerinitiative genau zwei Steuerarten: Die Vermögenssteuer und die Einkommenssteuer von natürlichen Personen. Und da wird nur ein Mindeststeuersatz vorgeschrieben bei sehr hohen Einkommen und Vermögen. Betroffen sind nicht mal ein Prozent der Steuerpflichtigen. Alle anderen zig Steuerarten sind frei für das „Race-to-the-bottom“. Vor allem: Wir müssen aufhören, uns erpressen zu lassen von ein paar wenigen superreichen ZuzügerInnen, die uns nicht zu diktieren haben, welche Steuern sie gnädigerweise zahlen wollen.

Was wirklich in Gefahr ist, ist der bewährte schweizerische Ausgleich. Wir müssen unser System der Balance, das bis in die späten 90er-Jahre intakt war, wiederherstellen. Wenn dieses schweizerische Anstandsgebot nicht mehr freiwillig eingehalten wird, braucht es eben ein Ja zu dieser Initiative.